Warum antike Sprachen lernen?
Die Kenntnis der alten Sprachen ist heute alles andere als populär. Das liegt in einem Wort – ὡς ἔπος εἶπειν – daran, dass ihr gewaltiger Nutzen heutzutage leider völlig verkannt wird. Im Folgenden möchten wir diesen Nutzen in vier Aspekten umreißen.
Zunächst einmal ist es wichtig, sich klarzumachen, dass die modernen Sprachen im Vergleichen mit den Hochsprachen der Antike in etwas soweit zurückstehen wie der antike Radwagen im Vergleich mit der modernen Raketentechnologie. Die Menschheit hat sich technologisch entwickelt und zugleich sprachlich degeneriert. Während also die technologischen Fähigkeiten unserer Spezies immer weiter zunehmen, nehmen zugleich die sprachlichen Kompetenzen kontinuierlich ab und mit ihnen auch viele seelisch-geistige Fähigkeiten, die engstens mit der Sprache verbunden sind.
Eine Sprache lässt sich in gewisser Weise mit einem Raumschiff vergleichen: Während wir heute auf den Mond fliegen können, was für die Antike technologisch unmöglich war, konnten die um ein vielfaches komplexeren antiken Sprachen subtile und entlegene geistige Räume erreichen, die wiederum für den modernen Geist mit seinem recht eingeschränkten Werk- und Fahrzeug, also der modernen Sprache, völlig außerhalb der Reichweite liegen: Das klassische Griechisch beispielsweise hat die Fähigkeit, über 600 Formen allein für jedes einzelne Verb zu bilden. Die feinen Nuancen, die dadurch zum Ausdruck kommen, lassen sich im Deutschen oder Englischen bestenfalls mühsam paraphrasieren. Viele alt-griechische Gedankenformen sind in modernen Sprachen schlichtweg so nicht greifbar. Jeder menschliche Geist, der sich mit einer solchen Sprache auseinandersetzt, profitiert also in höchsten Maße davon, indem sein Denken mit einem Werkzeug ausgestattet wird, welches den üblichen Denkwerkzeugen respektive Sprachen unserer Zeit weit überlegen ist.
Der zweite große Schatz, den die alten Sprachen erschließen, ist der Schatz der altsprachlichen Literatur: Die Philosophie Platons, die sowohl in der Tiefe ihrer Erkenntnis als auch in der Schönheit und im Witz ihrer literarischen Form unübertroffen bleibt, die Dichtung Homers, welche in kaum zu übertreffender Weise mit bezaubernder Rhythmik kraftvolle Imaginationen vor dem inneren Auge des Lesers ins Leben ruft, die klassischen Tragödien wie Sophokles’ Ödipus Tyrannos, von dem Aristoteles nicht ohne Grund sagte, sie reinige die Seele, Euklids Elemente, welche dem Leser die mathematischen Sätze, die er in der Schule auswendig lernen musste, in einer solchen Tiefe erschließen, dass sie ihm zum ewigen geistigen Eigentum werden, und die wundervolle Dichtung der lesbischen Dichterin Sappho, die mit einzigartigen Rhythmen und fantasievollenDarstellungen magisch auf das Gemüt einer jeden empfindsamen Seele wirkt. Den Schlüssel zu all diesen und vielen weiteren Texten stellen die antiken Sprachen dar. Wer das Glück hat, diese Texte im Original lesen zu können, erfährt einen einzigartigen inneren Genuss: eine Beflügelung des Geistes und eine Erquickung der Seele, wie sie im modernen Leben nur schwerlich zu finden sind.
AAls dritter Grund kann angeführt werden, dass die antiken Sprachen den Schlüssel zum geistigen Erbe der europäischen Kultur bilden. Unzählige Werke aus Kunst und Philosophie verschiedenster Epochen lassen sich unmöglich in ihrer Tiefe verstehen, solange die unzähligen Bezüge und Anspielungen auf die Antike nicht erkannt und verstanden werden. Dichter wie Goethe, Philosophen wie Kant oder Nietsche, aber auch Musiker, Maler und bildende Künstler lebten zu einer Zeit, in der die Kenntnis der antiken Sprachen und der klassischen Literatur noch zum üblichen Bildungskanon gehörten: „Die alte Baubo kommt allein; / Sie reitet auf einem Mutterschwein.“ (Faust I, Verse 3962–3963) Wer versteht diese geotheschen Verse ohne Kenntnis des Griechischen? Umgekehrt öffnet sich mit einem jeden antiken Werk, das man kennen lernt, ein völlig neuer Blick auf die Kulturgeschichte, was bisweilen sogar dazu führt, dass man moderne Spitzenpolitiker dabei erwischt, sich in ihren Reden ganz unverholen bei Thukydides zu bedienen. Dieser griechische Geschichtsschreiber bezeichnete sein Werk in der Einleitung scheinbar wohlwissend als ein κτῆμα εἰς ἀεί: einen Besitz für immer. Und nicht nur Kunst und Philosophie, auch die Begrifflichkeit der Wissenschaft ist durch und durch geprägt von den alten Sprachen. Für den, der der griechischen und lateinischen Lexik mächtig ist, ist die Sprache der Wissenschaft ein offene Buch: Das Ion ist ein ‚Gehendes‘, also ein sich bewegendes Teilchen, das Atom ist ‚unteilbar’, der Tempel ist ein ‚(heiliger) Abschnitt‘. Profan heißt der Bereich ‚vor dem Heiligtum‘, die sektorale Heterochromie, ist eine ‚farbliche Andersartigkeit in einem Abschnitt (des Auges)‘, ein Traktor ist ‚eine Ziehmaschine‘, ‚Prost‘ bedeutet wörtlich ‚es möge einen Nutzen haben‘ und der Helikopter ist ein ‚Schraubflügler‘. Die Klinik ist der Ort, wo die Menschen auf Liegen liegen, der Dativ ist der ‚Fall des Gebens‘ (ich gebe dir …), das Präteritum ist wörtlich ‚das Vorübergegangene‘ (Latein: praeter-itum), die Kalligraphie ist die ‚Schönschrift‘. Die Tangente ist die den Kreis ‚berührende‘ (Latein: tangēns) Gerade, die Hypothenouse die sich unter dem rechten Winkel ‚erstreckende‘ und die Asymptote, diejenige, die ‚nicht (mit der Kurve) zusammenfällt‘, sie also niemals berührt, obwohl sie sich ewig annähert. Die Philosophie ist die ‚begehrende Liebe zur Weisheit‘, hydrophil bedeutet ‚wasserliebend‘, Philipp ist der, der ‚Pferde liebt‘, und die Etymologie ist die ‚Lehre von der wahren Bedeutung der Worte‘. Die Liste ließe sich nahezu ins Unermessliche weiterführen und soll nur einen kleinen Eindruck davon vermitteln, wie viel tiefer das Verständnis auch der eigenen Sprache, sowohl wissenschaftlicher als auch alltäglicher Begriffe, bei der Auseinandersetzung mit den klassichen Sprachen des Altertums wird. Diese Verständnis der eigenen kulturellen Wurzeln geht bei einem Großteil der modernen Bevölkerung immer weiter verloren und flacht den Gebrauch der Sprache und das Verständnis der Kulturschätze immer weiter ab. Das Gegenteil bewirkt die Kenntnis der Altsprachen und der antiken Literatur, indem sie der Sprache und dem Denken ungeahnte Tiefendimensionen erschließt und verständige Mündigkeit verleiht.
Viertens profitiert auch die sprachliche Kompetenz im Allgemeinen. Für denjenigen, der die lateinische oder griechische Grammatik versteht, für den ist es ein Leichtes zu begreifen, warum wir auf dem Stuhl sitzen, wohingegen wir uns auf den Stuhl setzen. Auch die häufig gestellte Frage, warum es denn das Mädchen heiße, wird er mühelos mit einem Verweis auf den Diminutiv erklären können. Wer die griechischen Buchstaben Tau (ταῦ) und Theta (θῆτα) sauber auszusprechen vermag, der kann auch das spanische Verb ‚tener‘ aussprechen, ohne dabei augenblicklich durch seinen Akzent in Form eines behauchten T-Lauts preiszugeben, ein Deutscher zu sein. Natürlich wird er auch nicht lernen müssen, was die Vokabel bedeutet, da er doch bereits das lateinische Verb ‚tenēre‘ kennt. Er wird mühelos einsehen können, warum das Russische kein Verb braucht und mit zwei Worten auskommt, wenn man sagt: „Я студент“ (Ich bin ein Student). Durch die Kenntnis der alten Sprachen wächst auch die Einsicht in den Lautwandel, wodurch Worte, die zuvor völlig fremd erschienen, auf einmal beinahe Dialektformen einer einzigen Sprache gleichen: das Griechische ῥήγνυμι (zerbrechen; Wurzel: *ϝρήγ-) beispielsweise ist dann ganz offenbar direkt verwandt mit dem deutschen Verb ‚brechen‘, dem Substantiv ‚Wrack‘ und – über das lateinische frangere (brechen; Perfekt: frēgī) – dem ‚Fragment‘. Das Griechische ἔργον (das Werk; Wurzel: *ϝέργ-) fällt zusammen mit dem englischen Verb ‚to work‘, dem deutschen Nomen ‚Werk‘ und bildet auch dem Stamm, von welchem sich der Name Georg, wörtlich der Erdarbeiter (ἡ γή = die Erde; aus γηοργός wird durch Quantitätenmetathese γεωργός) beziehungsweise Bauer, und die Energie (ἡ ἐνέργεια, wörtlich: ‚das im Werk sein‘ = die Aktivität) ableiten. Der Georg findet sich durch Lautwandel natürlich auch in anderen fremdsprachlichen oder dialektalen Form wie beispielsweise Jorge (spanisch), aber auch Jörg und Jürgen. Und auch die Energie fließt als wissenschaftlicher Terminus in leicht veränderter Form in viele andere Sprachen ein: la energia (spanisch), the energy (englisch), энергия (russisch), …
Darüber hinaus ist die syntaktische Struktur der deutschen Sprache wiederum nahezu vollkommen durch die lateinische geprägt – und so auch unser Denken! – , weshalb Kenntnisse der antiken Syntax auch den sprachlichen Ausdruck und das Textverständnis im Deutschen sowie die Klarheit des Denkens erheblich steigern können. Wer finale, kausale, adversative, konzessive, konditionale, komparative, temporale und modale – die Termini kommen natürlich ebenfalls alle aus dem Latein und sind selbsterklärend – Nebensätze voneinander unterscheiden kann, der ist sich eben auch klar darüber bewusst, ob er gerade ein Ziel, einen Grund, einen Vergleich oder einen Einräumung etc. formuliert, denkt oder vernimmt.
Alles in allem kann der Gewinn, den die Auseinandersetzung mit den klassischen Sprachen des Altertums auf die gesamte Sprachkompetenz hat, kaum überschätzt werden.Es gibt also allerhand Gründe, sich mit den Altsprachen auseinanderzusetzen: die Bereicherung des geistig-seelischen Lebens, die Rückbindung an die Wurzeln der europäischen Geisteskultur und den Ausbau sprachlicher Kompetenzen, um nur einige wenige zu nennen. Dabei kann die Verbalsprache durchaus als die größte Errungenschaft in der Geschichte der Menschheit betrachtet werden. Die Kompetenz im Umgang mit dem sprachlich-gedanklichen Werkzeug zu pflegen ist allein deshalb lohnenswert. Zugleich aber ist der geistig-ästhetische Genuss, den die Auseindandersetzung mit antiken Texten bereitet, jede Mühe wert: ein Genuss, der nicht nur tiefgründig und nutzenbringend, sondern auch in höchstem Maße nachhaltig und umweltverträglich ist. Denn mehr als ein paar Bücher und den eigenen Geist braucht man zu dessen Verwirklichung nicht. Wir freuen uns deshalb sehr, wenn wir Sie auf Ihrem Weg in die fantastische Welt der antiken Sprachen und Literatur begleiten dürfen und wir gemeinsam daran arbeiten, die moderne Geisteskultur Europas durch die direkte Verbindung mit ihrer erquickenden Quelle zu erfrischen und zu bereichern.

Philosophie
Im strengen und eigentlichen Sinne des Wortes dürfte diese Abschnitt gar nicht ‚Philosophie‘ heißen. Denn die Philosophie, wenn sie im Sinne Platons verstanden wird, besteht nicht darin, bestimmte Meinungen und Werte vorzutragen oder zu vertreten, sondern darin, Meinungen und Wertbegriffe zu untersuchen und sich auf diese Weise auf die Suche nach Wahrheit und Wissen zu begeben. Die Philosophie (griechisch: ἡ φιλοσοφία) bezeichnet im eigentlichen Sinne gerade die Liebe (ἡ φιλία) zur Weisheit (ἡ σοφία), wobei die griechische Sprache verschiedene Liebesbegriffe kennt: Die Philia (ἡ φιλία) – ähnlich wie der Eros (ὁ ἔρως, daher die Erotik) und im Gegensatz zur Agape (ἡ ἀγαπή) – ist eine begehrende Liebe, die nach etwas strebt, was sie ausdrücklich nicht hat. Die Philosophie ist also kein Besitz von Weisheit oder Wahrheit, sondern die Suche danach, indem der Suchende sich bewusst ist, dass er darüber noch nicht verfügt.
Der folgende Abschnitt wiederum beschreibt in einem moderneren Sinne die ‚Philosophie‘, die hinter Carpe Kairon und Empotamos steckt, also die von uns vertretenen Werte sowie die Meinungen, welche diese Werte begründen:
Carpe Kairon und Empotamos verfolgen das Ziel, den Erhalt des antiken europäischen Kulturerbes zu fördern, den Nutzen dieser Geistestradition erkenntlich, zugänglich und fruchtbar zu machen und das moderne Leben durch die antiken Sprachen, Texte und Inhalte im privaten, politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmen vielfältig zu bereichern. Dafür aber muss zunächst einmal ein Verständnis für das Verhältnis von antiker und moderner Kultur gebildet werden: Ich technologischer Hinsicht war die Antike selbstverständlich in vielen Belangen unterlegen. In den technologischen Errungenschaft der Moderne liegt allerdings die Möglichkeit begründet, dass die schieren Faszination durch die Leistungen moderner Computer, Handys, Raketen, Autos usw. die Gesellschaft blind macht für die Errungenschaften anderer Zeiten und Kulturen.
Die Leistungen der Antike wiederum bestanden besonders in der vollkommenen Entwicklung der Sprache und der Sublimierung des Denkens. Eine Sprache wie das Alt-Griechische ist modernen Sprachen syntaktisch, morphologisch und lexikalisch – was das geistig-seelische Vokabular betrifft – weit voraus. Die Sprache ist allerdings das Werkzeug für die Erforschung des seelisch-geistigen Raums. Wie die modernen Teleskope weit ins All hineinblicken und die (unbemannte) Raumfahrt sich mittlerweile bis nahe an die Sonne heranwagt, so können antike Sprachen tief in den Raum des Seelisch-Geistigen vordringen und so die entferntesten, faszinierendsten und schönsten Regionen erreichen. Die Ergebnisse dieser geistigen Erkundungsfahrten liegen uns in den erhaltenen Schriften und in dem Wesen der jeweiligen Sprache selbst vor. Während nun aber ein Smartphone für jeden – auch für den Laien – leicht zu bedienen ist, sodass ein jeder sich schnell und unkompliziert von den Vorzügen desselben überzeugen kann, ist das Erlernen einer antiken Sprache und die fundierte Auseinandersetzung mit den Texten und Inhalten mit geistiger Arbeit verbunden. Die moderne Technologie nimmt uns Arbeit ab, die Beschäftigung mit der Antike verschafft uns Arbeit. Da verwundert es freilich nicht, dass die Moderne bei vielen den uneingeschränkten Vorzug erhält und auch gesellschaftlich die antiken Sprachen immer weiter zurückgedrängt werden. Dabei wird jedoch eines übersehen: Die geistige Arbeit, die wir als Mensch leisten, ist gerade das, was uns als Mensch im eigentlichen Sinne verwirklicht und erfüllt.
Aristipp und die menschliche Lust
Ich möchte dazu eine keine Geschichte nacherzählen: Einst soll Aristipp, ein Schüler des Sokrates, mit einigen Gefährten Schiffbruch erlitten haben und an ein fremdes Ufer gespült worden sein. Als er dort geometrische Figuren im Sand erkannte, die einen euklidischen Beweis illustrierten, rief er plötzlich erfreut zu seinen Kameraden aus: „Seid guter Hoffnung, ich sehe Spuren von Menschen!“ (vgl. zu dieser Geschichte beispielsweise Brandt, Reinhard, 2000: Philosophie in Bilder. Von Giorgione bis Magritte. Köln, S. 164–200) Die Euklidische Geometrie ist hier ein Beispiel für eine Art der intellektuellen Beschäftigung, die unter allen Lebewesen dieser Welt nur dem Menschen zueigen ist. Als Menschen – und dies ist eine der Tatsache, die einigen der antiken Philosophen deutlich klarer verstanden hatte als ihre modernen Nachfolger – haben wir Anteil sowohl am pflanzlichen Leben, also an Stoffwechsel, Wachstum, Reproduktion etc., als auch am tierischen, also beispielsweise an der Ortsbewegung und der handelnden Interaktion mit anderen Individuen. Die begrifflich intellektuell und mathematische Betätigung allerdings – Mathematik meint hier im antiken Sinne die intellektuelle Beschäftigung mit den vier Lehrgegenständen (τὰ μαθήματα): Arithmetik, Geometrie, Bewegungslehre und Musiktheorie – ist das, was den Menschen als Mensch ausmacht und unterschiedet. Wie nun die Schwalbe ihr Wesen beispielsweise dadurch verwirklicht, geschickt und flink zu fliegen, so verwirklich der Mensch sein Wesen gerade in der begrifflichen Betätigung. Und wie die Schwalbe ein besonders großes Glück dabei empfindet, ihr Vermögen frei und gekonnt auszuleben, so empfindet der Mensch ein besonderes Glück dabei, geistig forschend oder seelisch schöpferisch tätig zu sein. Die klassischen Sprachen und Texte ermöglichen uns genau diese Betätigung in schönster Form. Allerdings sind sie für die meisten Menschen heute kaum mehr bekannt und nicht zugänglich. Die Technologie hilft uns zweifelsohne dabei unsere sinnlichen Wünsche immer leichter auszuleben und uns im Handlungsraum immer kraftvoller zu betätigen. Wobei sie uns aber kaum behilflich ist, das ist die Verwirklichung unser seelisch-geistigen, besonders der begrifflichen Natur. Und so leben wir uns lieber als Schwalbe aus und fliegen mithilfe der Technik durch die Lüfte, als uns auf den Flügeln von Phantasie und Philosophie durch die uns wesentlich zugehörigen Gefilde tragen zu lassen. Dabei können wir hier – und das scheint fast gänzlich vergessen worden zu sein – die größte Lust erleben und die uns eigentümlichste.
Ein Wort zur Nachhaltigkeit
An dieser Stelle kann es nicht verkehrt sein, auch auf den Aspekt der Nachhaltigkeit kurz einzugehen. Der Mensch ist, wie eben ansatzweise dargestellt, ein komplexes Wesen mit viele Aspekten. Wir empfinden sinnliche Lust, wir empfinden Lust, wenn wir unsere Handlungsziele erreichen, und wir empfinden intellektuelle Lust. All diese Lüste sind wichtig, wirklich schön sind sie aber erst dann, wenn sie gemeinsam ein harmonisches Ganzes ergeben. Der Mensch sucht und strebt wie alles Leben nach Lust und Glück in jedem Moment der Existenz. Wenn er jedoch den wesentlichsten Teil seiner Existenz verkennt und gar nicht weiß, wie oder dass er sich auch dort lustvoll verwirklichen kann, dann sucht er das, was ihm fehlt, in seinen anderen Vermögen vergeblich, was wiederum sein Wesen aus dem Gleichgewicht bringt. Die Unterhaltungsindustrie im weitesten Sinne – also Gastronomie, Reisen und vieles mehr mit eingeschlossen – gibt sich größte Mühe, die Lust an der Sinneserfahrung immer weiter zu steigern und auf immer ausgefallenere Arten auszuschöpfen. Der Gipfel dieser Entwicklung zeigt sich besonders eindrucksvoll in der privaten Raumfahrt und anderen extremen Luxusgütern. Dabei werden tagtäglich unvorstellbare Mengen an natürlich Ressourcen eingesetzt, um letztlich nichts anderes zu bewirken, als den fünf Sinnen möglichst extravagante Erfahrungen zu ermöglichen. Es ist offensichtlich, dass eine derartige Entwicklung allen Bemühungen um Nachhaltigkeit radikal zuwiderläuft. Wer hingegen die intellektuellen Freuden des menschlichen Daseins kennenlernt und hier einen wesentlichen Teil seiner Lusterfüllung findet, dem genügen einige Buch, ein kompetenter Gesprächspartner und die eigenen seelisch-geistigen Fähigkeiten, um Freude und Vergnügen zu empfinden und zugleich die Blüte dieser inneren Fähigkeiten immer weiterer zur Entfaltung zu bringen. Eine erfolgreiche Nachhaltigkeitsbewegung kann nicht primär auf (ersatzlosem) Verzicht oder fortschreitender Technologisierung basieren, sondern muss, indem sie den Menschen in seinem Wesen erkennt, ihm die ihm selbst gemäße Lust erneut erschließen, welche bestens dazu geeignet ist, Ressourcen zu schonen. Der Gewinn ist also groß, wenn die auch die persönliche Intellektuelle Lust wieder einen Stellenwert in der Gesellschaft einnimmt, und die antiken Texte und Sprachen sind bestens dazu geeignet, dieser Lust zu frönen.
Der Schlüssel zur eigenen Kultursprache
Die Beschäftigung mit antiken Texten und Sprache bringt aber nicht nur Lust mit sich, sondern auch Fähigkeiten und Kompetenzen hervor. Entscheidend ist dabei die Schlüsselrolle der griechischen und der lateinischen Sprache in der kulturellen Entwicklung Europas: Unser wissenschaftliches Denken, unsere Fachtermini, die sogenannten termini technici, sind fast ausnahmslos von griechisch-lateinischer Prägung, denn bis vor ca. 150 Jahren war der Zugang zu den Universitäten für alle Studiengänge ausschließlich den Absolventen der humanistischen Gymnasien vorbehalten (vgl. Kitzbichler, Josefine / Lubitz, Katja / Mindt, Nina, 2009: Theorie der Übersetzung antiker Literatur in Deutschland seit 1800. Berlin/New York, S. 55), welche über viele Jahre intensiv Griechisch und Latein gelernt hatten. Wer das Griechische und das Latein kennt, der versteht fast jeden Fachterminus aus dem Stegreif: ad hoc, wie der Lateiner sagt. Das Ion ist ein sich bewegendes Teilchen, vom Griechischen τὸ ἴον (das, was geht) herkommend, die Theorie (ἡ θεωρία) ist wörtlich die Betrachtung im Gegensatz zur Praxis (ἡ πρᾶξις = die Handlung). Das Präteritum, also die einfache Vergangenheit des Deutschen, ist wörtlich das, was vorübergegangen ist (lat. praeteritum), der Indikativ ist der Modus der Aussage (lat. indicare). Diese Liste ließe sich nahezu endlos weiterführen. Und während die meisten jungen Menschen heute in sämtlichen Fächer – ob in der Schule oder auf der Uni – zahllose Fachbegriffe auswendiglernen müssen, deren Sinn sie mehr verstehen, ist es für den altsprachlich Gebildeten ein Leichtes, fast jeden Fachtext auf Anhieb zu begreifen. In den letzten 100 Jahren hat die philologische Bildung rasant abgenommen und ist heute kaum noch vorhanden, wodurch ein gewaltiger Riss im bewussten Umgang mit der eigenen Kultursprache entstanden ist. Der Physiker Werner Heisenberg übersetzte noch als Teenager aus dem platonischen Dialog Timaios auf dem Dach des Priesterseminars in München (vgl. Heisenberg, Werner, 1969: Der Teil und das Ganze. München, S. 19–22). Heute dagegen haben die wenigsten Menschen – ob Akademiker oder nicht – auch nur einen einzigen platonischen Dialog gelesen. Damit ist nicht nur die Verbindung zum Verständnis der wissenschaftlichen Begriffe geschwunden, sondern auch der Bezug zur philosophischen, literarischen und poetischen Tradition, welche Europa seit Homer (ca. 800 v. d. Z.) prägt. Viele Werke der deutschen Literatur, beispielsweise Goethes Faust, lassen sich ohne Kenntnis der klassischen Antike kaum verstehen, geschweige denn genießen. Ein großer Teil der deutschen Grammatik hat sich erst dadurch herausgebildet, dass deutsche Gelehrte griechischen und lateinischen Schriften übersetzten und dafür ihre sprachlichen Möglichkeiten erweitern mussten (vgl. dazu bspw. Meibauer, Jörg et al., 2002: Einführung in die germanistische Linguistik. Stuttgart / Weimar, S. 330–331). Durch die Kenntnis der antiken Sprachen wird also ein Band geknüpft zum Verständnis von fast 3000 Jahren europäischer Sprach-, Geistes- und Kulturgeschichte, von welchem sich die moderne Gesellschaft ansonsten immer weiter selbst abschneidet. Der Erwerb dieses Verständnisses allerdings bereichert das kulturelle Leben und die seelisch-geistigen Fähigkeiten vielfältig.
Der platonische Dialog
Das Œuvre Platons bildet gewissermaßen den Kern der europäischen Geistesgeschichte. Es steht deshalb im Zentrum von Carpe Kairon und Empotamos. Die philosophische und literarische Qualität der platonischen Dialoge kann als bislang unübertroffen gelten. Der Genuss, die seelische Erquickung und die geistige Sublimierung und Schärfung, den die Originallektüre platonischer Dialoge dem Leser verschafft, ist in nüchternen Worten nicht zu beschreiben. Der Gewinn sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft, sowohl für die Kunst als auch für die Wissenschaft, sowohl für die Wirtschaft als auch für die Politik wäre gewaltig, wenn die Lektüre des platonischen Dialogs wieder Einzug hielte in das öffentliche und private Leben. Platon ist der eigentliche Zielautor, den Carpe Kairon jedem Leser empfiehlt. Die platonische Philosophie ist berührt unmittalbar das Wesen jeder wirklich philosophischen Lebenshaltung und die platonische Sprache, besonders die platonische Dialektik, ist ein Musterbeispielt der Kommunikation und Gesprächsführung. Es sind die Gespräche beispielsweise über die Tapferkeit (vgl. Platon, Laches), das Fromme (vgl. Platon, Euthyphron), das Gerechte (vgl. Platon, Politeia) und das Schöne (vgl. Platon, Hippias maior), in denen der Mensch sich am meisten selbst verwirklicht, in denen der Leser, der den Text aufmerksam mitverfolgt, eine gedankliche Tiefe erfährt, die selten erreicht wurde, und bei deren Verständnis ein unbeschreibliches Glück empfunden werden kann, welches die Seele fortan wie ein Licht begleitet. Die Auswahl an Literatur ist groß und natürlich können auch Autoren wie Homer, Aischylos und Euklid die menschliche Seele berauschen, bezaubern und erfüllen. In Platon aber fällt die größtmögliche Lust mit dem größtmöglichen Nutzen zusammen, weshalb es unser wesentlichstes Anliegen ist, die Platonlektüre nachhaltig zu fördern und zu unterstützen.
Die Liste der Vorteile und Gewinne, die aus der Wiedergewinnung der Antike resultiert, ließe mit vielen Einzelheiten sich noch lange weiterführen, genau wie die Liste der einzelnen Autoren und Texte. In nahezu allen Bereichen kann die Rückbindung an die Antike und gerade auch die Verbindung der modernen Fähigkeiten und Erfahrungen mit den antiken Erkenntnis- und Darstellungsweisen eine gewaltige Bereicherung darstellen, die vermag, den einzelnen und unsere Kultur als Ganze in ein neues Gleichgewicht zu führen. Diesen Schritt zu einer einzigartigen Synthese von Moderne und Antike möchten wir mit Carpe Kairon und Empotamos nach Kräften fördern und unterstützen.

Das Institut Carpe Kairon bildet den Kern von Empotamos. Wir bieten altsprachlichen Unterricht und begleitete Lektürekurse zu einer Vielzahl von antiken Texten und Autoren an und vermitteln darüber hinaus spannende und wertvolle Lehrinhalte direkt aus den antiken Quelltexten. Ob Sie die Sprache für Ihre Arbeit oder Ihr Studium brauchen oder ob Sie einfach dem schönsten Hobby der Welt nachgehen möchten, wir freuen uns, Sie auf Ihrem Weg in oder durch die faszinierende Welt der antiken Literatur begleiten zu dürfen. Erfahren Sie mehr über unsere Lehrinhalte, lernen Sie uns in einem persönlichen, kostenlosen Beratungsgespräch kennen und begeben Sie sich auf eine Reise in die fantastischen Gefilde der Geisteskultur!
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Empotamos ist ein Unternehmen für wissenschaftliche Dienstleistungen mit besonderem Bezug zu den antiken Sprachen, den Texten und deren Inhalten. Mit dem Institut Carpe Kairon bietet Empotamos privaten, altsprachlichen Unterricht an. Durch die intensive und langjährige Auseinandersetzung mit dem antiken Denken haben sich jedoch weitreichende Kompetenzen (Übersetzung, Beratung, Logik, Sprachkompetenz uvm.) entwickelt, mit welchen wir gerne auch andere Projekte bereichern oder die Antike aktualisieren und in Darstellungen, Vorträgen oder Aufführungen erlebbar machen. Sie haben eine Idee oder ein Projekt, bei welchem wir Sie unterstützen können? Gerne sprechen wir mit Ihnen darüber in einem persönlichen, kostenlosen Beratungsgespräch. Oder informieren Sie sich näher über das Angebot von Empotamos.
Inhaber
Inhaber und Gründer von Carpe Kairon und Empotamos ist Sebastian F. Seeber. Er unterrichtet selbst die meisten Kurse und lernt Sie gerne in einem persönlichen Beratungsgespräch kennen. Er studierte Alt-Griechisch, Philosophie und klassische Philologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, ist seit über zehn Jahren als Privatlehrer tätig und unterrichtet Alt-Griechisch an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg sowie der Humboldt-Universität zu Berlin. Er promoviert derzeit zu Platons Dialog Kratylos an der Universität Regensburg.